Wenn Sorgen das Leben bestimmen: Die generalisierte Angststörung
Ständige Sorgen begleiten das Leben von Menschen, die unter einer generalisierten Angststörung leiden. Im Gegensatz zu der Phobie, bei der die Angst auf spezielle Objekte oder Situationen gerichtet ist, tritt die Angst bei dieser psychischen Störung frei flottierend auf. Das heißt, sie durchzieht sämtliche Bereiche des Lebens. Im klinischen Sinn spricht man von einer generalisierten Angststörung, sobald sich die übermäßigen Sorgen und die angsterfüllten Gedanken auf mehrere Ereignisse oder Tätigkeiten beziehen und über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten hinweg an der Mehrzahl der Tage auftreten.
Personen mit einer generalisierten Angststörung sind unfähig, ihre Angstgefühle und Sorgen zu unterdrücken. Konzentrationsschwierigkeiten, Ruhelosigkeit und Schlafstörungen resultieren. Reizbarkeit und körperliche Anspannung können weitere Symptome der generalisierten Angststörung sein. Zudem besteht eine Komorbidität mit Depressionen.
Dennoch sind die meisten Betroffenen in der Lage, ein weitgehend normales Leben zu führen und ihren alltäglichen beruflichen und sozialen Aufgaben nachzukommen. Subjektiv haben sie dabei jedoch das Gefühl, ständigem Druck ausgesetzt zu sein. Sie fühlen sich bedroht und empfinden ihr Leben als einen kräfteraubenden Kampf. Diese ständige innere Anspannung wird durch die Übernahme hoher Verantwortung oder gesellschaftlicher Verpflichtungen gesteigert. Einige Wissenschaftler sehen im beruflichen und gesellschaftlichen Stress sogar den alleinigen Auslöser der generalisierten Angststörung.
Gesellschaftliche Veränderungen haben in den letzten Jahren zu einem Anstieg der Zahl der Erkrankten geführt. Mittlerweile ist die generalisierte Angststörung in der Gesellschaft relativ häufig. Vorwiegend sind Frauen betroffen. Internationaler Terrorismus, die ausführliche Berichterstattung über Gewalttaten in den Medien und die Veränderungen in der Berufswelt haben dazu geführt, dass sich immer mehr Menschen unsicher fühlen. Soziokulturelle Studien konnten in diesem Rahmen belegen, dass Armut das Entstehen der generalisierter Angststörungen fördert. Menschen, die um ihre Existenz fürchten müssen, tendieren verstärkt dazu, eine generalisierte Angststörung zu entwickeln. Kriminalität und schlechte Bildungschancen, die meist mit den Lebensbedingungen sozial schwacher Menschen einhergehen, erhöhen zudem den sozialen Stress.
Fehlangepasste Annahmen, wie zum Beispiel der irrationale Glaube, von allen anderen Personen gemocht werden oder alle eigenen Ziele ohne Widerstände erreichen zu können, sind für Menschen, die unter einer generalisierten Angststörung leiden, charakteristisch. Aufgrund dieser Annahmen erleben die Betroffenen normale Situationen, wie zum Beispiel eine Prüfung oder das Kennen lernen anderer Menschen als bedrohliche und angstinduzierende Herausforderung. Meist beziehen sich die unangemessenen Erwartungen zunächst auf wenige Lebensbereiche und weiten sich sukzessiv auf alle Lebensumstände aus, so dass die Symptome der generalisierten Angststörung mit der Zeit immer stärker werden.
Mit dem Erleben der Herausforderungen des Lebens als Bedrohung geht in vielen Fällen eine negative Einstellung gegenüber der eigenen Person einher. Einige Psychologen sehen nicht in den sozialen Bedingungen sondern in einem unangemessenen und überzogenen Selbstbild die Hauptursache für das Entstehen einer generalisierten Angststörung. Denn strenge Selbstansprüche und überhöhte Erwartungen an die eigenen Fähigkeiten können langfristig zu einer Verschiebung der Wertemaßstäbe führen. Die selbstkritische Sicht führt zur Leugnung der eigenen Empfindungen und zu Versagensängsten.
Entsprechend dieser humanistischen Erklärung setzen Gesprächstherapeuten zur Behandlung der Angst auf die Förderung des Selbstbewusstseins und der Selbsterkenntnis der Klienten. In einer angenehmen Atmosphäre soll Menschen mit generalisierter Angststörung ein angemessenes Gefühl für ihre eigenen Fähigkeiten, Wünsche und Bedürfnisse zurückgegeben werden. Das Selbstwertgefühl der Angstpatienten wird gezielt durch positives Feedback und das Entgegenbringen von Wertschätzung vermittelt. Durch das Erzeugen von Akzeptanz gegenüber den eigenen Möglichkeiten sollen den Klienten die Angst vor ihrem Versagen genommen und ihre überzogen selbstkritische Haltung aufgebrochen werden.
Eine weitere Behandlungsform stellt die Angstbewältigung dar. Das Verfahren, das auch zur Therapie von Phobien eingesetzt wird, bezeichnet man auch als „angewandte Entspannung“.
Die Therapieform basiert auf der sogenannten „progressiven Muskelrelaxation“ nach Jacoby. Die Angstpatienten lernen dabei, durch das gezielte An- und Entspannen einzelner Muskelgruppen Verspannungszustände im Körper zu lösen. Nach kurzer Anweisung durch den Therapeuten können die Klienten die Methode auch Zuhause anwenden.
Durch die Entspannung der Muskulatur lernen die Betroffenen, körperliche Symptome ihrer irrationalen Angst, wie Herzrasen oder Magenschmerzen, frühzeitig zu erkennen und ihnen gezielt, zum Beispiel durch beruhigende Atemtechniken, entgegenzuwirken.
Oft wird die Muskelentspannung in Verbindung mit Stressmanagementtraining angewandt.
In Einzelübungen lernen unter generalisierter Angst leidende Menschen, Stresssituationen angemessen kognitiv zu verarbeiten. Die Selbstzweifel, die mit Gedanken wie „Ich schaffe das nicht“ verbunden sind, sollen durch positive Selbstaussagen ersetzt werden. Durch die Vergegenwärtigung der eigenen Stärken sollen die Klienten, entsprechend dem gesprächstherapeutischen Ansatz, ihr Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein erhöhen können.
Nach dem Einüben der kognitiven Bewältigungsstrategien werden diese in Rollenspielen und simulierten Stresssituationen angewandt. Der Angstpatient wird dabei zum Beispiel aufgefordert, sich vorzustellen, er befände sich in einem Bewerbungsgespräch oder einer anderen stressinduzierenden Lage. Durch die erfolgreiche Anwendung der positiven Selbstaussagen erlebt der Klient, dass er seine Angst überwinden und Erfolgserlebnisse erzielen kann. Diese Erfahrung trägt zur Stärkung eines positiven Selbstbildes bei. Dieses „Stressimpfungstraining“ hat sich in der Praxis als äußerst effektiv erwiesen. Vielen Patienten gelingt es, durch selbstbejahende Gedanken ihre Versagensangst zu überwinden.